"Durch alles hindurch zieht sich ein eigensinniger Mut" Hildegard Eckert, SkF Bundesvorsitzende
Sehr geehrter Herr Bischof,
liebe Frau Graubert-Bellinger,
liebe Frau Fritz, liebe Yvonne,
liebe Mitglieder,
liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, liebe Gäste,
Eigentlich sollte es ja ein großes Fest werden im letzten Jahr - bis die Pandemie einen Strich durch alle Pläne machte.
Eigentlich wollten Sie und wir so vieles im letzten Jahr,
was alles nicht ging.
Aber Sie haben sich nicht entmutigen oder abbringen lassen.
Zumindest haben Sie heute mit dem Gottesdienst das Wichtigste nachgeholt:
Zu danken für Gottes Segen durch die Geschichte und
die Zukunft unter Gottes Segen zu stellen.
Und: Im letzten Jahr haben Sie eine wunderbare Festschrift herausgebracht.
Eindrucksvoll schildern Sie Ihre Beweggründe, den Verein zu gestalten und für den SkF zu arbeiten. Lebensbilder, die geschichtlichen Etappen Ihres Ortsvereins, persönliche Geschichten und all die Schwerpunkte, die Ihnen am Herzen liegen. Durch alles hindurch zieht sich ein eigensinniger Mut.
Dazu gehörte der Mut, sich für Frauen und Mädchen einzusetzen, die von der Gesellschaft verachtet wurden - wie anfangs geschlechtskranke Frauen, unverheiratet schwangere Frauen - und sich immer wieder auch um Notlagen und Themen zu kümmern, die gerne totgeschwiegen wurden.
Häusliche Gewalt, Prostitution, Vormundschaften, Schwangerschaftsberatung, Behinderungen, Erziehungsprobleme, auch Trennung und Scheidung, Regenbogenfamilien.
Dabei standen und stehen Zuwendung, praktische Hilfen und neue Lebensperspektiven im Vordergrund. Dies bedeutete und bedeutet noch immer, die konkrete Lebenssituation anzuerkennen und zunächst die akute Lebenslage zu verbessern und das Vertrauen der Frauen zu gewinnen, um sie unterstützen zu können.
Und das bedeutet auch mit den Worten von Agnes Neuhaus:
"Wir wollen doch den Gehorsam gegen die Kirche nicht verwechseln mit Unselbstständigkeit."
Ganz schmerzlich haben wir die Zeit des sogenannten Ausstiegs aus der staatlichen Anerkennung der Schwangerschaftskonfliktberatung erlebt.
Wie sehr haben wir in diesem Thema das grundlegende Misstrauen, fehlende Diskussionsbereitschaft und Entscheidungen "von oben herab" erlebt.
Alles Gründe, die viele bewegen, ihren Weg in Distanz zur Kirche weiter zu gehen.
Aktuell und in Zukunft meine ich, ist der SkF mehr denn je als Brückenbauer zwischen Kirche und Welt gefragt. Denn die Lebenswirklichkeiten, Sehnsüchte, Gefahren und Chancen der Menschen tauchen bei uns ungeschminkt auf. Unsere Kenntnis hiervon ist wichtig für die Weiterentwicklung der Glaubwürdigkeit unserer Kirche. Und wir geben mit unseren Diensten und Einrichtungen der Kirche die Hoffnung, dass christlich geprägte Orte professionelle Anlaufstellen sein können. Sie werden von ganz unterschiedlichen Menschen aufgesucht und als positiv und relevant für ihr Leben betrachtet.
Zuerst und zuletzt geht es uns um konkrete Angebote für die betroffenen Frauen, Kinder, Familien und um ganz lebenspraktische Hilfen wie z.B. auch schulische Ausbildung, die ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen sollen.
Mut, sich einzusetzen:
In einem Morgenimpuls sprach kürzlich Pfarrerin Petra Schulze von einem solchen Mut und nannte ihn Leichtsinn:
"Dieser leichte Sinn, mit dem ich der Angst den Nacken kraule, der Leichtsinn, der mich alles in Frage stellen lässt. (…) Ein Leichtsinn, der mich mutig Neues wagen lässt." Und sie erinnern an die Jünger Jesu, die in diesem Sinn Jesus gefolgt sind.
Ich denke, diese Art vertrauensvollen Leichtsinns war und ist es heute, der Sie in Gießen und uns an vielen Orten im SkF Dinge tun lässt, die andere als unvernünftig oder wagemutig bezeichnen. Die Sie und wir gemeinsam aber letztlich tun in der Überzeugung, dass sie gemacht werden müssen: Damit Leben gelingen kann, damit Räume zum Leben geschaffen werden. Und wenn nicht jetzt von uns, von wem dann?
So stehen Sie hier in Gießen in einer lebendigen Geschichte unseres 120-jährigen Verbandes.
Dabei geht es uns im SkF nicht primär um die Bewahrung unseres Vereins und unserer Traditionen. Vielmehr geht es uns darum, in der jeweiligen Zeit engagiert an der Seite derjenigen zu stehen, die am Rande stehen. Es geht also nicht um Tradition im Sinne der Bewahrung von Asche, sondern von Weitergabe der Glut und des Feuers.
Von Herzen wünsche ich Ihnen, dass Sie weiter für Chancen- und Geschlechtergerechtigkeit brennen. Dass Sie damit immer neue Menschen anstecken, mitzuwirken, solidarisch zu sein, Sie zu unterstützen und wenn es sein muss, mutig an Ihrer Seite mit zu kämpfen.
Hildegard Eckert, Bundesvorsitzende